Stumm­film­erleb­nis mit Live-Musik

07. Okto­ber 2021 | Pres­se­mit­tei­lung

Gif­horn. Im Rah­men der Orgel­ent­decker­tage erwar­te­te die etwa 40 Besu­cher in der Gif­hor­ner Niko­lai­kir­che ein Abend der beson­de­ren Art: Auf der vor dem Altar auf­ge­stell­ten Lein­wand wur­de der revo­lu­tio­nä­re Stumm­film „Der letz­te Mann“ aus den 1920ern vor­ge­führt – und von Frau Michel-Oster­tun live auf der Orgel beglei­tet. So ent­stand ein sehr authen­ti­sches Filmerlebnis.

„Einen Stumm­film zu beglei­ten ist ein ganz ande­res Impro­vi­sie­ren als im Got­tes­dienst“, erklärt die Orga­nis­tin, „hier hat man kei­nen Cho­ral oder Lied als Mit­tel­punkt, son­dern die zeit­li­chen Vor­ga­ben des Films, sei­ne Stim­mung und The­men.“ Michel-Oster­tun möch­te auf mög­lichst vie­le Details ein­ge­hen. Dazu hat sie sich den Film im Vor­hin­ein sehr oft ange­schaut und Noti­zen gemacht.

Aber wie kommt eine renom­mier­te Kon­zert­or­ga­nis­tin und Pro­fes­so­rin für Kir­chen­mu­sik zur Beglei­tung eines Stumm­films? „Das war damals in Mann­heim“, Michel-Oster­tun erin­nert sich, „ich wur­de ein­fach gefragt, ob ich das machen könn­te und habe dar­auf­hin die gan­ze Nacht nicht geschla­fen.“ Sie muss­te nach­den­ken. Dann hat sie sich heim­lich einen Stumm­film besorgt, viel pro­biert und geübt – und schluss­end­lich zugesagt.

 

 

Seit 2011 hat sie schon meh­re­re Stumm­fil­me vor Publi­kum beglei­tet, auch „Der letz­te Mann“. Es ist ein expres­sio­nis­ti­sches Werk von Fried­rich Wil­helm Mur­nau, das Kino­ge­schich­te geschrie­ben hat. In der Haupt­rol­le spielt Emil Jan­nings einen alten Hotel-Por­tier, dem sei­ne Stel­lung Ruhm und Aner­ken­nung bei Fami­lie und Nach­barn ein­bringt. Als er alters­be­dingt in die Posi­ti­on des Toi­let­ten­manns ver­setzt wird, fühlt er sich ernied­rigt und ver­sucht dies zuhau­se zu ver­tu­schen. Doch schon bald fliegt der Schwin­del auf und Fami­lie und Freun­de wen­den sich ab. Dank einer glück­li­chen Fügung erwar­tet ihn und die Zuschau­er aber ein Hap­py End.

Mur­nau hat hier­für die „ent­fes­sel­te Kame­ra“ ent­wi­ckelt. Sie ist nicht mehr wie damals üblich sta­tisch, son­dern bewegt sich frei durch den Raum und kann ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven ein­neh­men. Auch kommt der Film (fast) ohne Zwi­schen­ti­tel aus. Mur­nau hat­te mit die­sen bahn­bre­chen­den Neue­run­gen sei­nen gro­ßen Durch­bruch und Jan­nings gewann für sei­ne Rol­le den ers­ten Oskar der Filmgeschichte.

Daher war auch der Abend in der Niko­lai­kir­che ein bewe­gen­des Erleb­nis. Die Orga­nis­tin stimm­te die Musik per­fekt auf das Film­ge­sche­hen ab. Schnel­le Ton­wech­sel lie­ßen die Zuschau­er das Getüm­mel auf der Stra­ße spü­ren. Pfiff der Por­tier mit der Pfei­fe, ertön­ten schril­le Töne und nach Fei­er­abend mach­te sich durch die Varia­ti­on auf ein Gute Nacht Lied eine woh­li­ge Stim­mung im Publi­kum breit. Dem Por­tier wur­de ein schwe­res, har­tes The­ma zuge­ord­net, wel­ches sei­ne Statt­lich­keit und sei­nen Stolz betont. Und wel­ches eben­so wackelt und lei­ser wird, wenn er inner­lich zer­bricht. Dies alles konn­te Michel-Oster­tun flie­ßend ein­bin­den in 90 Minu­ten Film­mu­sik, sodass jeder das Gefühl hat­te, selbst mit­ten im Gesche­hen zu sein.

Gespielt wur­de übri­gens nicht auf der gro­ßen Barock­or­gel der Kir­che, son­dern auf einer eigens hier­für gelie­he­nen Digi­tal­or­gel. Hier gebe es Regis­ter wie bei einer ech­ten Kino­or­gel, erklärt Michel-Oster­tun. Damit sind viel­sei­ti­ge Klän­ge mög­lich, bei­spiels­wei­se die einer Kla­ri­net­te. Kino­or­geln gibt es nur noch weni­ge. In Deutsch­land sind gera­de mal sechs in Gebrauch, unter ande­rem im Baby­lon-Kino in Ber­lin oder in Mann­heim. Eini­ge wei­te­re ste­hen als unge­nutz­te Aus­stel­lungs­stü­cke in Museen.

Für Cine­as­ten wie für Musik­lieb­ha­ber glei­cher­ma­ßen war der Abend ein groß­ar­ti­ges Erleb­nis. Wei­te­re span­nen­de Ange­bo­te fol­gen im Rah­men der Orgel­ent­decker­tage bis zum 16. Okto­ber 2021.

Text und Bild: Anne Rether
Bild­un­ter­schrift: Chris­tia­ne Michel-Oster­tun an der Digi­tal­or­gel in der Gif­hor­ner Nikolaikirche

Pres­se­kon­takt

Ben­ja­min Simon-Hin­kel­mann
Pres­se­spre­cher der Ev.-luth. Lan­des­kir­che Hannovers

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